Matthias Harnitz

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

 

ich fühle mich geehrt, Ihnen heute einige Worte zur Vernissage in diesen schönen Stader Räumlichkeiten sagen zu dürfen, worum mich Susanne Riemann als Freund gebeten hat. Besonders geehrt fühle ich mich zum einen darum, weil es sich bei Frau Riemann um eine renommierte Künstlerin handelt, deren Name einen eigenen, guten Klang hat und die auf viele Jahre erfolgreichen künstlerischen Schaffens blicken kann, zum anderen, da die bildende Kunst eigentlich nicht mein Fachgebiet ist.

Ich spreche heute also weniger als Kunstsachverständiger zu Ihnen, sondern erlaube mir als Freund eine persönliche und von meinen Tätigkeitsfeldern – der Musik und der Germanistik – geprägte Sichtweise auf die Ausstellung darzulegen.

 

Neben der zweifellos faszinierenden, bildlich-künstlerischen Kraft der Arbeiten von Frau Riemann reizt mich besonders der Titel der Schaffensserie: „Gegenbilder“.

 

Musikalisch verknüpfte sich mir diese Wortschöpfung sofort mit dem Begriff „Kontrapunkt“. Bei dieser Kompositionsweise wird einer melodischen Linie eine zweite, ebenfalls eigenständige Melodie ent„gegen“gesetzt, woraus sich eine reichere, polyphone Stimmführung ergibt. Könnte man „Gegenbilder“ als eine sozusagen polyikonische Bereicherung bisheriger Bilderwelten verstehen? Auch konnte ich nicht umhin, an die lyrische wie mythisch-schroffe Musik der progressiven Jazz-Rock-Band Counter-World Experience zu denken, in der mein Bruder Schlagzeug spielt. Wo dort musikalisch dem Hörer über das Ohr eine „Gegenwelt-Erfahrung“ zuteil wird, eröffnet uns Frau Riemann den Weg in solche Welten hier über das Auge.

 

Germanistisch reizvoll erscheint mir der Ausstellungstitel vor allem aufgrund des vorangestellten Wortbestandteils „gegen“, den ich nun gerne ganz besonders im Hinblick auf die Ausstellung beleuchten möchte.

 

Dieses kleine Wörtchen „gegen“, zugehörig zur Wortart der Präpositionen, gibt wie seine Verwandten einem raum-zeitlichen Verhältnis Ausdruck.

Erfahrbar wird dies hier im Raum, wie Frau Riemann es selbst schon über ihre Bilderreihe gesagt hat, zunächst natürlich durch die Anordnung der Bilder und die vielfältigen Wechselbeziehungen auf der Ebene der inhaltlichen und farblichen Gestaltung.

Doch mehr noch: Der Begriff sucht vergeblich seinesgleichen, lässt sich schwerlich paraphrasieren, ist wortwörtlich „wider“ständig und zwingt somit schon durch sich selbst zur intensiveren Auseinandersetzung.

„Gegen“ lässt sich besser dadurch umreißen, was es nicht ist. „Gegen“ ist nicht „mit“, ist nicht „bei“, nicht „an“ und nicht „für“.

Im „Gegen“stand be„gegnet“ uns etwas, das uns buchstäblich ent„gegen“steht. Es bildet eine Herausforderung, eine Hürde, einen „Wider“stand, erfordert möglicherweise einen Umweg – man kann nicht einfach darüber hinweggehen.

So geht es mir auch mit den „Gegenbildern“. Sei es nun in der stilistisch herausstechenden Neu- oder Umgestaltung des „Gegen“ständlichen alter Meisterwerke oder in den sagenhaft anmutenden „Gegen“den, die so gar nicht alltäglich und den Riemann’schen Göttinnen eine Heimat sind: All dies fordert mich als Betrachter zu einer Auseinandersetzung heraus, die sich erst in einem weiteren Schritt in einem „Mit“gehen mit den Wechselbeziehungen der „Gegenbilder“ dialektisch auflösen mag. Ein „Gegenbild“ stellt mich vor Fragen und erfordert eine Positionierung: Wie sieht meine eigene Welt, meine innere Bilderwelt aus? Welches Bild habe ich von einem Leonardo, Raphael, Thorvaldsen? Wie fügen sich Göttinnen und Musen, farbenprächtige Pflanzen und Fabelwesen in mein Weltbild? Was suche ich selbst – Abbild, Ebenbild, Sinnbild, Gegenbild? So liegt in jedem „Gegen“ ein besonderes Potenzial, vielleicht eine Chance, eine Gelegenheit für den Betrachter auf dem Wege der sinnlichen Anschauung von einer „Anti“these zu einer persönlich bedeutsamen Synthese zu gelangen.

 

Vielleicht spiegelt sich in dem Titel „Gegenbilder“ auch ein Teil der Persönlichkeit Susanne Riemanns „wider“, wie ich sie als Freund kennenlernen durfte: als durchaus „wider“ständige Frau mit eigener Sichtweise, nicht um jeden Preis verträglich, aber mit dem Herzen und der Fähigkeit zum kreativen „Gegen“entwurf, der als künstlerische Antwort verstanden werden muss auf unser Dasein in der Welt, das uns Antworten abverlangt, wenn wir nicht bloß „mit“laufen wollen ohne die Möglichkeit zur eigenständigen Gestaltung und den Willen zu gestalterischer Verantwortung. Und Susanne Riemann wäre nicht auch Kunstpädagogin, wenn ihr nicht in besonderer Weise gerade an einer solchen verantwortungsvollen Gestaltung von Welt viel gelegen wäre.

 

Nun sind wir hier in Anbetracht der „Gegenbilder“ dennoch alle „mit“einander versammelt. Lassen Sie uns darum zusammen diese reizvolle Ausstellung genießen, uns gleichermaßen daran stoßen und auch erfreuen, uns einander mitteilen und „wider“sprechen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen einen anregenden Nachmittag!

Share on FacebookTweet about this on TwitterShare on Google+Email this to someone
Rede von Matthias Harnitz (Autor und Komponist) zur Ausstellungseröffnung „Gegenbilder“ in Stade

Hinterlasse eine Antwort