Ansichten meiner Schwester – 03Susanne Riemann

Inmitten all der Stillleben – der absichtsvoll bewegungslosen, menschenleeren Momente – hat die Galerie Art Forum mit den Portraits der Künstlerin Susanne Riemann kontrastreich bewegte Augenblicke inszeniert.

Bewegte Augenblicke, denn Portraits blickt man nicht einzig an, es wird aus ihnen ebenso herausgeblickt. Portraits zeigen ein Gegenüber.

 

Ansichten meiner Schwester heißt die Serie, die in diesem Jahr entstanden und hier erstmals zu sehen ist.

Die Schwester ist berühmt. Das Gesicht der Schauspielerin und Sängerin Katja Riemann ist uns allen seit Jahren bekannt. Daher begegnen wir den Portraits bereits mit einer vermeintlichen Vertrautheit. Und die Ähnlichkeit ist auf allen Blättern dieser Serie unverkennbar, sie ist Zentrum – die feste Mitte der Arbeiten. Doch ist diese Mitte, die äußere Übereinstimmung mit der Schauspielerin erst der Anfang, denn…

Susanne Riemann fordert uns durch ihre zeichnerischen Gesten und durch motivische Variation dazu auf uns von diesem Zentrum aus auf einen vielschichtigen Spaziergang mit den Augen und gleichsam mit den Gedanken einzulassen…

 

Ihre Arbeiten entstehen ohne einen Tropfen Wasser. Das glaubt man vom ersten Ansehen kaum. Die selbst entwickelte Technik basiert auf der Handhabung verschiedenster Stiften und Kreiden, die sie mit wiederum verschiedenen Radiergummis und ihren Händen mal mehr oder weniger bearbeitet.

Strich für Strich, Wisch für Wisch zeichnet sich Susanne Riemann mit großer Atmosphäre an ihre „Ansichten“ heran.

 

Charakteristisch ist, dass die Künstlerin dabei mit sehr unterschiedlichen Gesten arbeitet. An einer Stelle entwickelt sie malerische Flächen mit großer Tiefe, voller Dichte und Farbe und an anderer Stelle agiert sie mit andeutenden Linien, dort bleibt der zeichnerische, skizzenhafte Charakter bestehen.

An dem Portrait En face I – das sie schon von Ihrer Einladung kennen – ist dies sehr anschaulich. Probieren sie es einmal… betrachten Sie ausschließlich nur die von Ihnen linke Hälfte, dann ist es ein sehr malerisches Portrait, betrachten Sie die rechte Hälfte, so erscheint es vergleichsweise skizzenhaft.

 

Es gibt im Werk Susanne Riemanns keine geschlossenen Oberflächen. Kaum taucht sie auf, dann wird sie auch schon wieder gebrochen… Zum einen indem sie darauf noch Spuren von Kreiden oder Pigmente legt, oder auch indem sie die zugrunde liegenden Linien stehen lässt. Susanne Riemann zeichnet ebenso über wie unter der visuellen Oberfläche. Unser Blick bleibt durch dieses lebendige Wechselspiel verschiedener künstlerischer Gesten beständig in Bewegung.

 

Katja Riemann selbst bleibt in Blick und Gestus zumeist ganz fest und ruhig. Sie erscheint inmitten der zeichnerischen Wogen wie ein Fels in der Brandung. Sie ist wie gesagt, die feste Mitte. Sie – das bedeutet hier ihr Gesicht. Ausschließlich ihr Gesicht. Denn schon ihre attributischen Haare werden vom zeichnerischen Wirbel mitgerissen wie auf der Arbeit Feuerhaare, auf dem sich die Haare wie ein ungestümes Tier gebaren…

- oder auch die Hände…. sie werden durch zeichnerisches Loslassen, indem sie ganz sacht angedeutet werden, in eine andere Ebene von Wahrnehmung überführt.

Es ist das Gesicht der Schwester, das hier Zentrum und feste Mitte ist!

 

Das Gesicht – es ist ein viel beschriebenes Paradox: Einerseits ist es die äußere Hülle, die Inneres schützen und auch verbergen kann – andererseits drückt unsere Physiognomie Inneres unverkennbar aus. Wir kommunizieren unsere Gedanken und Gefühle sehr stark über unser Gesicht. Das Gesicht ist beides, es ist gewissermaßen die Schnittstelle. Nicht ohne Grund heißt Schnittstelle auf englisch: inter face…

Diese Ambivalenz potenziert sich innerhalb dieser Serie noch durch die Tatsache, dass Katja Riemann Schauspielerin ist. Das Gesicht ist ihr Instrument. Sie setzt ihr Gesicht bewusst ein um uns etwas vorzuspielen. Sie schlüpft in andere Rollen, drückt Emotionen und auch Sprache nach einem erdachten Plan aus… Doch kann es an der Oberfläche nur überzeugend zum Ausdruck gelangen, wenn es auch empfunden ist…

Susanne Riemann kennt ihre Schwester ihr Leben lang, ihre Person und ihr Gesicht sind verinnerlicht. Wenn sie einen Film sieht, in dem ihre Schwester mitspielt, dann sieht sie aber nicht ihre Schwester, sondern die Person, die sie spielt. Identität, Authentizität, die Präsenz der Schwester…was ist das?

 

Es ist der große Reiz und die spielerische Qualität dieser Serie, Identität und Authentizität nicht statisch zu denken. Das wahre Gesicht? Darum geht es hier überhaupt nicht.

 

Susanne Riemann unternimmt gar nicht den Versuch sich an eine vermeintliche Wahrheit heranzuzeichnen… dazu weiß sie viel zu genau, dass es diese nicht gibt. Die Relativität der sichtbaren Dinge erlebt sie, wenn sie die Schwester auf der Leinwand als jemanden anderes sehen kann. Sie zeigt sich in ihrer Technik, welche den Illusionismus belebend unterbricht… Sie verleiht dabei dem Gedanken Ausdruck, dass das Sichtbare im Verhältnis zum „Ganzen“ nur isoliertes Beispiel ist und das andere Wahrheiten latent in der Überzahl sind.

So zeichnet Susanne Riemann viele verschiedene Ansichten ihre Schwester. Katja mit rotem Hut, Katja zwischen Orchideen, Rote Sängerin, Katja mit langen Haaren, Katja als Clown….

Dank ihrem spielerischen Umgang mit verschiedenen Attributen und Motiven haben die Arbeiten auch nichts voyeuristisches an sich, sie sind gar nicht entlarvend reduziert oder enthüllend… Im Gegenteil, sie zeigen die Schauspielerin in weiteren Rollen. Wir kommen ihr persönlich nicht näher… dafür aber den vielseitigen, spielerischen, feinsinnigen Ansichten Susanne Riemanns.

 

Wie kommt es überhaupt – so fragt man sich – zu der intensiven Auseinandersetzung mit der Schwester?

Der Anlass für diese Serie war zunächst ein sehr pragmatischer. Es ging um die Gestaltung des Covers der neuen CD Favorites. Die Arbeit ist hier ebenfalls zu sehen.

Doch die Serie war für Susanne Riemann damit nicht beendet. Während der Arbeit für das Cover hat die Künstlerin, zu deren Hauptmotiven schon immer der Mensch zählt, die ungeheure Spannung, die innerhalb des Themas waltet entdeckt.

 

In zwei Arbeiten zeigt sie die Schwester im Profil. Die Künstlerin greift damit bewusst das überaus klassische Profilportrait auf, dass uns insbesondere aus der italienischen Renaissance bekannt ist. 

Das Profil kennen wir auch aus dem Scherenschnitt. Im 19.Jhd. – Kurz vor der Erfindung der Fotografie war dieser Scherenschnitt neben dem malerischen Portrait sehr begehrt. Nicht nur weil er günstiger war, sondern weil im Profil das Unverkennbare einer Person erscheint. Wie ein Fingerabdruck bezieht sich die Profilansicht vorrangig auf Merkmale. Ein bestimmter Ausdruck oder Blick sind hier nicht so sehr bestimmend, auch kann der Künstler am Profil selbst nicht viel manipulieren… es trägt die deutliche Prägnanz des Authentischen!

Und gerade hier… in diesem Profilportrait erscheint das Gesicht von Katja Riemann – wenn man genauer schaut – als eine Maske. Die Maske und die Schauspielkunst gehören seit der Antike zusammen… Die Profession der Schwester hat sich mit einer Schnur festgezurrt. Es ist aber offensichtlich nicht die Maske im klassischen Sinne, denn es ist ihr höchst eigenes Gesicht…

Das Gesicht…. Da sind wir wieder beim Thema: Einerseits ist es unser Besitz. Jeder von uns hat sein Gesicht und doch gehört es uns nicht. Es ist ebenso ein Produkt aus den Blicken der anderen…


Der Kunstwissenschaftler Paolo Bianchi schreibt: „Gesichter sind wie Galionsfiguren, stets an vorderster Front, vom Klima und vom Wind des Lebens gegerbt, Maske, Schild, und Wunde zugleich. Im menschlichen Gesicht treffen die individuellen Züge und die Zumutungen der Gesellschaft zusammen….. mutig sei es, überhaupt ein Gesicht zu haben!

 

Susanne Riemann hat mit sehr sinnlichen, energetischen Gesten und Farben mit phantasievollen Attributen ihre Schwester vielfach in Szene gesetzt.

Die Ansichten meiner Schwester sind ein wahres Schau – Spiel.

 

Susanne Riemann spielt mit dem Wesen des Portraits und mit all den Gesichtern ihrer Schwester… Spielen ist schließlich auch etwas authentisches…. Im Spiel werden wir immerhin groß. Und…. haben wir nicht alle ein paar Gesichter parat, auch ohne Bühne und Kamera?
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. 

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Rede der Kunsthistorikerin Frederike Otto zur Ausstellungseröffnung “Ansichten meiner Schwester”

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